Als sogenannte Klickarbeiter:innen trainieren junge Menschen in Uganda und Kenia die künstliche Intelligenz großer Technologieunternehmen – in mühsamer Handarbeit und unter prekären Bedingungen.
Acht Stunden am Tag immer wieder die gleichen Klicks. „Klick, Klick“ für einen roten Apfel. Auf den Bildschirmen ist eine Obstplantage zu sehen, offenbar mit einer Drohne gefilmt. Per Mausklick werden diejenigen Äpfel markiert, die rot sind. Nur die reifen Äpfel soll die Drohne pflücken. Das stetige „Klick, Klick“ ist auch zu hören, wenn mit dem Cursor am Bildschirm Fahrbahnmarkierungen nachgezeichnet werden, wo ein Auto nicht entlang fahren darf. Auf einem anderen Bildschirm ist das Innere eines Warenhauses zu erkennen. Der Greifarm eines Roboters wird per Mauszeiger trainiert, wie er die richtige Kiste aus dem Regal zieht. Klick für Klick bringen die Ugander:innen in dieser Büroetage in der Hauptstadt Kampala dem Roboter bei, seine Arbeit zu optimieren.
150 junge Menschen sitzen in diesem großen, stickigen Raum dicht an dicht hinter den Computern. Sie arbeiten im Auftrag großer Technologieunternehmen wie Meta, zu dem die sozialen Netzwerke Facebook, Instagram oder Whatsapp gehören, der US-Weltraumbehörde Nasa oder des US-amerikanischen Autoherstellers Tesla.
Dessen integrierte, künstliche Intelligenz (KI), die bald das Fahren am Steuer ganz alleine abwickeln soll, muss millionenfach an denselben Abläufen trainiert werden. Denn bis diese KI sicher weiß, bei welchem Straßenschild das Tesla-Fahrzeug Vorfahrt geben muss und bei welcher Fahrbahnmarkierung es überholen darf, wird sie von den 150 Arbeiter:innen in diesem Erdgeschoss eines gläsernen Bürogebäudes trainiert.
Hippe junge Start-ups. Sama heißt die Firma, die in Afrika nun diese arbeitsintensiven Jobs für die internationalen Tech-Giganten übernimmt. Es ist eines von zahlreichen Start-ups, die überall auf dem Kontinent derzeit gegründet werden, um das Training der KI zu übernehmen, die in Zukunft zahlreiche Arbeitsprozesse selbst erledigen soll. Auf den ersten Blick bringt das Chancen und Möglichkeiten in die jeweiligen Länder. Doch die Entwicklung hat viele Schattenseiten.
Auf der Website von Sama sind die Kund:innen gelistet, darunter Google, Ford, Walmart, Sony, BMW, Ebay, Microsoft und Meta. Gleich daneben ist auf der Internetseite ein „Karriere“-Button platziert. Dort kann man online seine Bewerbungsunterlagen einreichen: „Werden Sie Teil unseres Teams und tragen Sie dazu bei, die Welt zu verändern“, steht neben dem Formular. Dass eine ugandische Firma überhaupt Bewerbungsformulare online stellt, ist eine Seltenheit. In Anbetracht einer der höchsten Geburtenraten der Welt und grassierender Jugendarbeitslosigkeit werden die meisten Firmen mit Jobanfragen schier überschwemmt.
Doch dies sei Teil des Konzepts, sagt Geschäftsführer Joshua Okello. Denn Sama will expandieren und benötigt dafür fleißige Hände, erklärt er und zeigt auf einen kleinen Konferenzraum mit einem ovalen Tisch. Die Firmenzentrale in Kampala ist schick eingerichtet, mit bunten Stoffen an den Wänden, alten Glasflaschen, die von der Decke hängen und aus denen heraus Pflanzen wachsen. In der Kantine steht ein großer Behälter voller bunter Süßigkeiten, aus dem sich die Angestellten frei bedienen dürfen. Es wirkt ein wenig wie das afrikanische Silicon Valley.
KI wenig nachhaltig
Künstliche Intelligenz (KI) steckt in alltäglich genutzter Software, etwa in der Bildbearbeitung auf dem Smartphone, in Spracherkennungsprogrammen oder in der Navigation. Doch: KI ist oft wenig nachhaltig. Sie verursacht Elektroschrott und Emissionen, benötigt leistungsfähige Hardware und energieintensives Training, das u. a. auf Ausbeutung von Arbeitskräften im Globalen Süden setzt. Dass KI-Anwendungen Diskriminierung und Klimakrise verschärfen könnten, davor warnt auch die ehemalige Google-Teamleiterin Timnit Gebru. Neben dem massiven Datendiebstahl kritisiert sie zudem den rechtsgerichteten Einfluss auf die „Big Tech“-Konzerne.
Angesichts einer steigenden Zahl an KI-Systemen braucht es daher dringend Initiativen, die KI nachhaltiger gestalten wollen und Druck auf die Politik ausüben. Eine davon ist der Nachhaltigkeitsindex der in Berlin gegründeten NGO Algorithmwatch. Anhand von 13 Kriterien, darunter Energieverbrauch, Datenschutz und Nicht-Diskriminierung, soll das Nachhaltigkeitsniveau von KI-Systemen bewertet werden. Eine nachhaltige KI ist aus Perspektive der NGO dann vorhanden, wenn Entwicklung und Einsatz „die planetaren Grenzen respektieren, keine problematischen ökonomischen Dynamiken verstärken und den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht gefährden“. Chrit
Digitale Werkbank. „Stell dir vor, es gibt einen Kunden in Deutschland, der eine Softwareingenieursfirma benötigt“, führt Okello, gelernter Softwareingenieur, aus. „Anstatt bis zu 50.000 Euro auszugeben, können sie uns weit weniger für denselben Job bezahlen.“
Sama sucht weltweit aktiv nach Kund:innen, so der 34-Jährige. Die Niederlassungen in den USA, Europa aber auch in Indien seien vor allem dazu da, neue Aufträge zu akquirieren. Erledigt werden diese aber letztlich in Afrika, vor allem in Uganda und Kenia.
Er nennt ein Beispiel: „Angenommen ich führe ein Unternehmen, das Roboter baut, die Äpfel ernten. Ich möchte meinem Algorithmus beibringen, dass die Äpfel dann gepflückt werden sollen, wenn sie zu 92 Prozent reif sind, also genau, wenn sie diese rötliche Farbe haben“, so Okello. In diesem Fall würde der Kunde Daten wie Fotos oder Videos von genau richtig reifen Äpfeln liefern. „Unsere Leute trainieren im Grunde genommen jetzt die KI, so dass sie im Laufe der Zeit lernt, die richtigen Äpfel zu pflücken“, sagt er: „Eigentlich so, als würde man einem Kind etwas beibringen.“
Früher wandten sich Firmen vor allem nach Indien oder Bangladesch, um niedrig bezahlte Aufgaben auszulagern – Stichwort Callcenter. Doch auch in Asien erhöhen sich mittlerweile die Gehälter und die Aufträge werden dadurch kostspieliger. In Afrika ist laut Okello der Stundenlohn im Vergleich deutlich geringer. Uganda sei deswegen „ein exzellenter Standort zum Outsourcen“, betont Okello und argumentiert: „Wir sprechen Englisch, wir sind ungefähr in derselben Zeitzone wie unsere Kund:innen in Europa und wir kennen die europäische Kultur, weil wir dieselben Filme und dieselbe Musik konsumieren.“
Monoton und unterbezahlt. Gegründet wurde Sama von der jungen US-amerikanischen Geschäftsfrau Leila Janah, die 2020 im Alter von 37 Jahren einer schweren Krankheit erlag. Die Tochter indischer Einwander:innen und Studentin für Afrikawissenschaften eröffnete als Start-up-Unternehmerin ab 2008 in Indien und später in Kenia die ersten Filialen.
Mittlerweile hat Sama selbst in Kenias gigantisch großen Flüchtlingslagern inmitten der Wüste Standorte eröffnet, um Geflüchtete anzustellen. Das Unternehmen sei in Kenias Nachbarland Uganda eines der ersten gewesen, das nach dem Ende des Bürgerkrieges im Norden des Landes dort den vom Krieg traumatisierten Jugendlichen Arbeit gebracht habe, berichtet Geschäftsführer Okello. Damals im Jahr 2012 kooperierte die Vorgänger:innen-Organisation von Sama, rechtlich noch eine NGO, mit dem internationalen Hilfswerk Oxfam.
In der aufstrebenden Stadt Gulu in Norduganda arbeiten heute rund 400 junge Ugander:innen. 2019 eröffnete Sama die Filiale in Kampala, stellte weitere 150 Leute an. Uganda ist neben Kenia mittlerweile das zweitwichtigste Standbein auf dem afrikanischen Kontinent.
Um bei Sama die KI eines Autos, einer Drohne oder eines Roboters zu trainieren, „brauchst du keine Fähigkeiten, du musst nicht einmal einen Schulabschluss haben“, sagt er. Die Trainings werden innerhalb der Firma durchgeführt. Okello: „Die meisten Leute hier haben noch nie in ihrem Leben einen Computer gesehen, bevor sie bei uns angefangen haben.“
Klicks im Akkord. Einer der jungen Arbeiter, die Sama im Vorfeld für ein Gespräch gezielt ausgewählt hat, ist der 30-jährige Bruno Kayiza, ein Vorzeigearbeiter also. Geboren und aufgewachsen in der Hauptstadt Kampala, erhielt er 2012 ein staatliches Stipendium, um an der Universität in Gulu im Norden des Landes Wirtschaft und Datenmanagement zu studieren.
Kayiza erzählt: Die Firmenfiliale von Sama war strategisch optimal gelegen, nämlich in umgebauten Containern direkt neben dem Uni-Campus. „Ich war neugierig, was da passiert und habe mich eines Tages dort vorgestellt“, sagt er.
Mit Erfolg: Vier Jahre lang hat er bei Sama Robotern beigebracht, wie sie nur reife Äpfel pflücken, dann stieg er auf zum Teamleader, um die Qualität der Arbeit seiner Kolleg:innen zu überwachen. Schritt für Schritt erklomm er in den nächsten Jahren die Karriereleiter. Mittlerweile ist er in der Filiale in Gulu für 418 Mitarbeiter:innen zuständig, die dort in zwei Schichten Tag und Nacht im Akkord tätig sind. Eine Software am PC registriert jede einzelne Mausbewegung.
„Die Arbeit ist sehr interessant, weil wir an verschiedenen Projekten beteiligt sind“, sagt Kayiza und erklärt, dass es neben den simplen Klickjobs komplexe und herausfordernde Aufgaben gibt, etwa die dreidimensionale Analyse einer Verkehrssituation. Dabei sendet das selbstfahrende Tesla-Fahrzeug dreidimensionale Lichtsignale aus, die dann von den verschiedenen Gegenständen auf der Straße reflektiert und zurückgeschickt werden. Jetzt muss aber die KI des Fahrzeugs lernen, diese Lichtreflektionen richtig zu lesen: Ist das ein Auto, das sich entfernt oder das näher kommt? Ist dies ein Fußgänger, der womöglich die Straße überqueren will, oder eine Straßenlaterne, die fest installiert ist? Um diese Lichtbilder richtig lesen zu können, müssen zunächst die Menschen daran trainiert werden, bevor sie dies einer KI beibringen können. Dazu benötige es Qualifikationen, die nicht jeder sofort beherrscht. „Wir haben derzeit ein 77-köpfiges Team in Gulu, das ausschließlich 3-D-Bilder-Analyse macht“, so Kayiza, der diese Arbeitsgruppe anführt.
„Komplizierter“ Arbeitsmarkt. „Die Bezahlung finde ich gut. Sie ist höher als bei einem anderen Einstiegsjob“, betont er. Der Lohn liege rund 20 Prozent über dem, was in Uganda ungelernte Arbeiter:innen in der Regel verdienen, umgerechnet rund 150 Euro. Hinzu kommen soziale Absicherungen wie eine kostenlose Krankenversicherung, allerdings nur für den jeweiligen Anstellungszeitraum von wenigen Monaten, sowie ein günstiges Mittagessen, was in Uganda keine Selbstverständlichkeit sei, so Kayiza.
In Anbetracht der enormen Masse an arbeitssuchenden Jugendlichen sei Afrika ihm zufolge ein „wirklich komplizierter Arbeitsmarkt“. Viele würden einen Studienabschluss machen, „wissen dann aber nicht, was als nächstes kommt“, sagt er. Vor allem für Leute wie ihn, die Wirtschaftswissenschaften oder Betriebswirtschaftslehre studiert haben, gebe es fast keine Möglichkeit auf Anstellung auf dem Arbeitsmarkt. Zudem sei die schiere Zahl an gut ausgebildeten Arbeitssuchenden enorm. So würden selbst die mit Uni-Abschluss meist als Gärtner:innen, Nachtwächter:innen oder an der Supermarktkasse enden.
Sinnvolle Jobs? Für Nanjira Sambuli klingt dies alles ein wenig zu positiv, um wahr zu sein, merkt sie am Telefon aus Kenias Hauptstadt Nairobi an. Sie ist Politikanalystin und Expertin für digitale Gleichberechtigung und berät Institutionen wie die Vereinten Nationen und das Weltwirtschaftsforum zu Internetgesetzen und digitaler Zusammenarbeit, insbesondere im Hinblick auf die Gleichstellung von Frauen. Im Rahmen ihres Stipendiums von der Carnegie-Stiftung forscht die Kenianerin, wie sich die Entwicklungen im Bereich der Hochtechnologie auf die afrikanische Gesellschaft auswirken.
Kenia sei in dieser Hinsicht vielen afrikanischen Ländern voraus. Bereits 2012, als die ersten Glasfaserkabel von der Küste des Indischen Ozeans ins Innere des Kontinents verlegt wurden und damit die Surfgeschwindigkeit im Internet sich von heute auf morgen vervielfachte, eröffneten Techkonzerne wie Google, Microsoft und IBM in Nairobi ihre ersten Filialen. Ihr Ziel: arbeitsintensive Jobs auszulagern. Kenias Politiker:innen priesen gegenüber der Jugend die Zukunft eines „afrikanischen Silicon Savannah“.
Mittlerweile ist aber Ernüchterung eingetreten auf diesem Arbeitsmarkt. „Klar besteht ein immenser Bedarf an Arbeitsplätzen auf dem gesamten Kontinent“, so Sambuli. „Aber sind dies sinnvolle Jobs? Sind das sichere Jobs mit Zukunftschancen?“, stellt sie zentrale Fragen in den Raum.
Bei Sama werden meist die Verträge für einfache Arbeiter:innen nur für einen bestimmten Projektzeitraum von durchschnittlich sechs Monaten vergeben. Danach wüssten die meisten nicht, ob es Folgeprojekte gebe. Die meisten Betroffenen stünden nach Abschluss eines Projektzeitraums dann wieder arbeitssuchend auf der Straße. „Sama betont, sie seien ein ethisches Outsourcing-Unternehmen“, sagt die Forscherin. „Doch in der Vergangenheit gab es hier in Kenia Fälle, die vor Gericht aufgerollt wurden, bei welchen sich die Arbeitsweise des Start-ups als fragwürdig entlarvt hat.“
Vor Gericht. Anfang 2023 verklagten vier Sama-Mitarbeiter:innen in Kenia die Firma sowie die Auftraggeber Meta und Facebook und wandten sich an die Regierung, die die „ausbeuterischen“ Arbeitsbedingungen unter die Lupe nehmen sollte, wie es in der Klage hieß. Dies sei ein Präzedenzfall gewesen, so Expertin Sambuli.
Im Laufe des Prozesses, der im August 2023 vor dem Arbeitsgericht in Nairobi in Revision ging und noch nicht abgeschlossen ist, stellte sich heraus, dass die Mitarbeiter:innen im Auftrag von Facebook die Inhalte von Facebook-Messages prüfen müssen, oft 700 Textpassagen pro Tag, meist mit gewalttätigen und sexuellen Inhalten. Für umgerechnet 1,50 US-Dollar pro Stunde sollten sie der KI beibringen, toxische Inhalte zu vermeiden – und mussten dafür genau diese manuell aussortieren, darunter sexueller Missbrauch von Kindern oder auch Hinrichtungen. „Das hat meiner psychischen Gesundheit schwer geschadet“, gab damals einer der Kläger an.
Zudem hatte Meta den Auftrag an Sama vor dessen Abschluss gekündigt. Damit standen von heute auf morgen alle, die bei diesem Projekt mitgearbeitet hatten, auf der Straße – ohne Entschädigung.
Die Vorwürfe, die die Klagenden gegen Sama vorbrachten, führten zu einem Aufschrei in den Medien. So hatte das US-amerikanische Nachrichtenmagazin Time die kenianische Firma als „Facebooks afrikanischer Sweatshop“ bezeichnet. „Das Beispiel in Kenia zeigt“, so Analystin Sambuli, „dass sich Politiker:innen in Afrika und auch die ganze internationale Gemeinschaft Gedanken machen müssen, zu welchem Preis all diese Arbeitsprozesse zu Dumpingpreisen nach Afrika ausgelagert werden“, betont sie und mahnt an, afrikanische Politiker:innen müssten dringend Gesetze hinsichtlich des Mindestlohns ausarbeiten und Arbeitsrechte definieren.
Für sie steht fest: „Nur weil der Kontinent dringend Arbeitsplätze benötigt, bedeutet dies nicht, dass man Arbeitsrechte und Mindeststandards an Ethik über Bord werfen darf.“
Simone Schlindwein lebt und arbeitet als freie Journalistin seit 2008 in Uganda.
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